Freitag, Februar 10, 2006

Pressemittelung des ZMD zum "Karikaturenstreit"

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) verurteilt sowohl die blasphemischen Angriffe durch die Karikaturen auf den Islam und die Muslime als auch die gewalttätigen Ausschreitungen in verschiedenen Ländern der muslimischen Welt. Wir fordern alle Muslime zur Besonnenheit auf und appellieren an sie eindringlich, den Protest friedlich zu äußern. Auch wenn gezielte Provokationen im Umlauf sind, darf für einen Muslim Gewalt kein Mittel zur Lösung des Konfliktes sein.

Jedem Angriff auf die Würde des einzelnen Muslims und des Islam kann nur mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnet werden. Unsere Antwort muss ein kritischer und gesamtgesellschaftlicher Diskurs über Werte und die Achtung vor Glauben und Gewissen sein. In den Mittelpunkt des sogenannten Karikaturenstreites gehört die Frage: Wie sieht der zukünftige zivilisierte Umgang mit Glaubensüberzeugungen anderer Religionen und Menschen aus?

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ruft alle gesellschaftlichen Gruppen, die Kirchen und nicht zuletzt die Muslime auf, deeskalierend auf die Spirale der Angriffe in Wort und Bild zu reagieren und sich nicht beirren zu lassen, weiterhin den friedlichen Protest zu gehen.
Ausdrücklich hebt der ZMD die bisher besonnene und vernünftige Haltung der muslimischen Bürger im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Friedens in Deutschland hervor.

Berlin/Köln 10.02.06

Donnerstag, Februar 09, 2006

Kronzeugen der Freiheit?

In Zeiten von Konflikten ist die Versuchung groß, nach Kronzeugen für die eigenen Argumente zu suchen. So haben jetzt, wie die Exil-Iraker vor dem Irakkrieg, diejenigen Konjunktur, die den Seitenwechsel vollzogen. Dummerweise lassen sich Friedensschlüsse nicht Tischen erzielen, an denen der wirkliche Feind nicht sitzt. Es sei denn, man könnte diktieren.

Es geht um einen Spiegel-Artikel mit der Überschrift "Entschuldigt Euch nicht!"
>> www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,398876,00.html

Darin fordert der "in pakistanischen Koran-Schulen erzogene Schriftsteller" Ibn Warraq den Westen auf, die Meinungsfreiheit zu verteidigen. Schön und gut. Wir werden es versuchen. Der Teufel sitzt im Detail. Ibn Warraq wirbt gegen Kompromisse, die Meinungsfreiheit sei die "wichtigste Frage unserer Zeit" und sucht sich Unterstützung bei Größen wie dem britischen Philosoph John Stuart Mill (1806 - 1873), den er aus dem Werk "Über die Freiheit" mit dem Spruch zitiert: "Es ist befremdlich, dass Menschen zugeben, wie wertvoll Argumente für eine freie Diskussion sind, sie jedoch zurückweisen, wenn sie ins Extrem getrieben werden; dabei übersehen sie, dass Gründe, die für den Extremfall nicht taugen, für keinen Fall taugen." Erstens klärt solches Getöne nicht die Frage, was denn "Extremfall" der Meinungsfreiheit sei, ob etwa auch die nachweisliche Unwahrheit, Unverschämtheit usw., zweitens verabsolutiert der Artikel mal wieder die Freiheit, als seien Frieden und Rücksichtnahme nicht gleichwichtige Werte. Auch die klügsten Philosophen sind nur Verirrte, wenn sie nicht merken, dass ihnen das "Wichtigste" stirbt, weil sie anderes in der Wichtigkeit unterschätzen und ihnen daraus keine Relativitäten erwachsen.
Ibn Warraq schließt diesem Irrtum eine abenteuerliche Geschichtsschreibung an, die jeglichen Vorzug und Fortschritt auf Freiheit gegründet sehen will, also übertüncht, wie oft sich die Freiheit ins Extrem konstruiert ihre Grenzen verpasst und ins Gegenteil verkehrt. Ausdrücklich beschreibt Warraq den "britischen Imperialismus" als Kulturbewahrer und reduziert den "islamischen Imperialismus" als Zerstörer all dessen, was uns und nicht nur unseren Archäologen lieb und teuer ist. "Entschuldigt Euch nicht!", so seine andauernde Beschwörung, nicht für historische Verbrechen, denn der Westen baute die Eisenbahnnetze, brachte Medizin und Bildung, ... "Verlangt Dank!", fordert er nicht, aber zwischen den Zeilen, vielleicht doch nicht ganz des Altruismus sicher, wie es sein Text suggeriert. "Entschuldigt Euch nicht!", sonst gelte es auf Beethoven und Shakespeare zu verzichten, stattdessen unseren Frauen die Klitoris beschneiden und sie steinigen im Falle des Ehebruchs. Das können nur Rückständige wollen. Ich also nicht. Was rät uns Ibn Warraq? "Stattdessen sollte man ihnen erzählen von den Jahrhunderten des Kampfes, der zur Freiheit führte, den sie und alle anderen wertschätzen, genießen, und den sie sich zu Nutze machen. ..."
Nun endlich kommt Sinn in sein Essay, aber sein "Stattdessen" bleibt Scheinalternative, betrügerische Illusion, weil die "westliche Freiheit" genau auch deshalb Schatten wirft, so oft sie nur die "Freiheit für den Westen" erstrebt und von den zwei anderen Aufklärungsessentials "Gleichheit, Brüderlichkeit" zu wenig wissen will.

-msr-